Die Geburt unserer Tochter – auf dem Parkplatz.
Neun Tage sind verstrichen, seit dem errechneten Geburtstermin. Ich bin ziemlich tiefenentspannt. Alle zwei bis drei Tage werde ich zur Sicherheit im Krankenhaus untersucht. Das macht mir keine Angst, denn ich bin mir sicher: Dieser kleine Mensch wird sich selbstständig auf den Weg machen. Sie ist einfach noch nicht so weit und das ist ok, auch wenn ein Teil von mir nicht abwarten kann sie bei uns willkommen zu heißen. Es ist ungefähr 2 Uhr nachts als ich am 11. März aufwache und mich freue. „Hallo du erste richtige Wehe!“ denke ich mir und versuche ruhig weiter zu atmen. Leichte Wehen war ich aus den letzten Tagen gewohnt, doch diese war anders. Es tut gut mich daran zu erinnern, denn es erfüllt mich mit ein bisschen Stolz, dass ich auch zu diesem Zeitpunkt keine Angst spürte. Die ganze Schwangerschaft freute ich mich auf das Erlebnis der Geburt und dieses Gefühl wich nicht einmal von meiner Seite. (An dieser Stelle geht wohl auch ein Dank an meine eigene Mama, die mir, seit ich denken kann davon erzählt, was es für ein Geschenk ist, dass sie die Geburten von drei gesunden Kindern erleben durfte.) Aber das nur am Rande. Wie ging es denn nun weiter? Erst einmal startete ich einen Versuch wieder einzuschlafen. Zu realisieren, dass das wohl nicht mehr möglich sein wird, dauerte etwa 10 Minuten. Der Abstand bis zur nächsten Wehe. So ging es also die ganze Nacht weiter. Mal mit 10 Minuten Pause, hin und wieder auch mal mit 20 Minuten. Torben wachte gegen 5 Uhr kurz auf und fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ja, es war alles in Ordnung. Immerhin schien sich jemand ganz langsam auf den Weg machen zu wollen. Morgens sollten wir zur Terminvereinbarung im Krankenhaus anrufen. Nachdem ich kurz meine Nacht schilderte, entschieden die Hebamme und ich, dass ich nachmittags zum CTG schreiben kommen sollte. Bis dahin nahm die Intensität der Wehen immer mal zu. Während des Frühstückens stand ich regelmäßig auf, lehnte mich an die Küchenzeile, atmete die Wehe so gut es ging weg & setzte mich wieder. Ganz schön unreal, dass jetzt so zu schreiben, aber ich erinnere mich, dass Torben und ich zu diesem Zeitpunkt noch beide über die immer wieder kehrenden Wehen lachten.
Dem Termin im Krankenhaus fieberte ich förmlich entgegen und wir packten sicherheitshalber unsere Sachen in den Kofferraum, falls man uns dortbehalten möchte. Das war ziemlich optimistisch gedacht, denn während des CTG’s hatte ich NICHT EINE EINZIGE WEHE! Ich kam mir kurzfristig ganz schön doof vor & fragte mich, ob ich den Schmerz vielleicht doch falsch einschätzte und die Geburt noch lange nicht im Anmarsch war. So viel kann ich euch verraten – ich habe ihn nicht falsch eingeschätzt! Vielleicht sogar unterschätzt, aber dazu später. Ein bisschen gefrustet und demotiviert liefen wir in die Stadt, um dort einen Kaffee zu trinken. Es war ja anscheinend noch lange nicht so weit, also versuchte ich die Wehen weiterhin so zu nehmen, wie sie kamen und das Gesicht dabei möglichst wenig zu verziehen. Denn nach dem Besuch im Krankenhaus war ich der Meinung, dass diese bisherigen Schmerzen wohl nichtmal den Anfang der Fahnenstange markierten. Als wir einen Kaffee, zwei Stückchen Kuchen und eine große Hunderunde später wieder in der Wohnung ankamen, war es etwa 19 Uhr. Torben begann für uns zu kochen – Bruschetta und Pasta mit Gemüse - während ich auf dem Sofa die Augen ein wenig zu machen wollte. Ich wollte mich ausruhen für das, was evtl. in den nächsten Stunden noch auf mich zukommen wird. Diese Phase des Ausruhens musste ich leider überspringen, da die Intensität der Wehen einfach immer weiter zunahm. Das Doofe an der Sache waren die Abstände. Immer konstant zwischen 10 und 12 Minuten. Ich fragte Torben wie lange das nun wohl so gehen wird und seine Prognosen waren nicht unbedingt ermutigend, auch wenn ich die gleichen Befürchtungen hatte. Auf die Uhr habe ich nicht geschaut, aber ich schätze es war so gegen halb 9 als zwei Wehen innerhalb von 6 Minuten anrollten. Für mich war das der Zeitpunkt, an dem ich spürte, dass wir in dieser Nacht wohl doch noch den Weg ins Krankenhaus antreten würden. Zur Sicherheit wollte ich auf jeden Fall, dass der Hund abgeholt wird. Die Frau meines Papas sollte dafür gegen kurz nach 10 vorbeikommen. Die Wehen wurden zunehmend intensiver, so dass wir gegen halb 10 im Krankenhaus anriefen und fragten, wann der richtige Zeitpunkt sei, dass wir uns auf den Weg machen. Ich war mittlerweile so mit den Wehen und dem Atmen beschäftigt, dass ich diese Aufgabe an Torben abgeben wollte. Die Hebamme am Telefon im Kreißsaal wollte aber viel lieber mit mir sprechen. „Wie geht es dir denn, Eefke? Fühlst du dich zuhause noch sicher aufgehoben?“ – „Ja, ich bin lieber hier als im Krankenhaus“, entgegnete ich. „Ok, das kann ich verstehen. Dann fahrt los, wenn sich das ändert. Mach dir keine Sorgen, es ist dein erstes Kind. Da kann man sich gar nicht zu spät auf den Weg machen.“
„Da kann man sich gar nicht zu spät auf den Weg machen.“ – Na klar, wir hatten auch vor der aktuellen Situation nichts anderes gehört. Das erste Kind braucht normalerweise etwas länger... Gegen kurz nach 10 klingelte es an der Tür und meine „Stiefmama“ kam zur Hundeübergabe. Wir standen noch kurz gemeinsam im Wohnzimmer und spekulierten über den weiteren Verlauf. Torben trug noch schnell den Futtersack mit zum Auto, während ich von engen Leggings auf Jogginghose umschwenken wollte. Es lässt sich schwer in Worte fassen, was wenige Minuten später geschah. Wie einen Stich spürte ich einen Schmerz, der für mich nichts mit dem davor Erlebten zu tun hatte. Zuordnen konnte ich es in dem Moment nicht. Heute weiß ich, dass ich den Startschuss für die letzte Phase der Geburt noch in der Wohnung erlebte. Nicht nach vielen Stunden im Krankenhaus. Nicht in der Geburtswanne, wie ich es mir monatelang ausgemalt hatte. Nicht kurz vor Erreichen des Kreißsaals. Nein, ich erlebte all das genau hier. Allein im Badezimmer. Als Torben die Treppen wieder hochkam, habe ich kaum noch ein Wort über die Lippen bringen können. Wo waren die Wehenpausen auf einmal hin? Es fühlte sich an wie ein durchgehender Schmerz, der meinen Körper voller Überzeugung nur zu einer Sache aufzufordern versuchte: Pressen. Doch das konnte nicht sein, nicht jetzt schon. Torben reagierte, als hätte er für genau diese Situation in seinem Leben bereits unzählige Male trainiert. Völlig ruhig und gelassen gelang es ihm irgendwie mich ins Auto zu setzen, nachdem ich bereits lautstark protestiert hatte und „...nirgends mehr hingehen wollte“. Knapp 10 Minuten Fahrt erstreckten sich wie eine Ewigkeit. An einer roten Ampel stehend versuchte ich möglichst wenig panisch zu sagen: „Hier stimmt irgendwas nicht. Ich MUSS pressen & ich kann nichts dagegen tun.“ Torben war durch nichts aus der Ruhe zu bringen: „Versuch zu atmen, ich bin bei dir.“ Kurz danach fragte er mich, um meine Erlaubnis den Notfallparkplatz am Krankenhaus für den Kreißsaal nutzen zu dürfen. Meine Reaktion war mehr als deutlich. Ich wollte nicht, dass er irgendwo in der Nähe parkt, ich wollte am liebsten, dass er IM Kreißsaal parkt. Wir hatten Glück. Ein Parkplatz gegenüber vom Haupteingang. Ab hier kann ich, selbst wenn ich wollte, nicht mehr jedes Detail wiedergeben. Es kam mir vor wie in einem Film. Jegliche Bemühungen mich zum Eingang zu bewegen scheiterten. Wann genau Torben die Hebamme im Kreißsaal kontaktierte und wann wir zusätzliche Hilfe von einer uns unbekannten Frau erhielten – ich habe keine Ahnung mehr. Ich lehnte an unserem alten Golf und schrie wohl quer durch die Stadt, dass ich mich keinen Zentimeter mehr bewegen werde und dieses Kind nun hier auf die Welt bringe. Was soll ich schreiben – gesagt, getan. Torbens Hand lag beruhigend auf meiner Schulter als wenige Sekunden später die Fruchtblase sprang. Wobei das Wort „sprang“ hier weniger passt als der umgangssprachliche Begriff des „Platzens“. Im gleichen Moment berührte meine Hand den Kopf meines Kindes und die Hebamme eilte aus dem Krankenhaus. Sie stellte sich an meine andere Seite und ich weiß wirklich nur noch, dass ich einen Wimpernschlag später unser Kind in meinen Händen hielt. Ich schaute rüber zu Torben, drückte diesen kleinen Menschen an meine Brust und flüsterte ihm zu: „Jetzt sind wir Eltern ...“